Hommage an Joseph Haydn
Nicht nur für Freunde der Kunst und Architektur ist das Prunktreppenhaus von Schloss Augustusburg beeindruckend, auch Musikfreunde lieben es. Das Umkehrpodest der großen Treppe bildet eine eigenartige, wunderbare Bühne. Das hier jährlich im August stattfindende Haydn-Festival ist zu einem kulturellen Alleinstellungsmerkmal der Region geworden. Das macht stolz, denn die Region hat ein dichtes Konzertleben und ist reich an Spielstätten. Das Haydn-Festival ist etwas Besonderes. Es gibt kein zweites dieser Art – weltweit. Die Festivallandschaft fokussiert auf andere Komponisten. Dabei lädt das Gesamtwerk Haydns zu einem Festival ein. Es enthält Beiträge zu fast allen klassischen Werkgattungen und in all diesen Gattungen hat Haydn Großartiges erschaffen.
Haydn war Bindeglied zwischen den Komponisten, die für den Herrschaftsgeschmack im Feudalismus schrieben, und Künstlern, die auf dem freien Musikmarkt wirtschaftlich erfolgreich waren. Haydn konnte der Vorliebe von Nikolaus Fürst Esterházy für artifizielle Kammermusik nachkommen und er konnte dem Geschmack des selbstbewussten und zahlungskräftigen Londoner Konzertpublikums Rechnung tragen. Haydn verbrachte in den 1770er und 1780er Jahren viele Sommer im mückenumschwärmten Esterházyschen Schloss am Neusiedler See – weitgehend abgeschlossen im Hofstaat –, um dann ab 1790 weltmännisch neben den Impresario Johann Peter Salomon in London zu treten und ein großes englisches Sinfonieorchester durch seine ›Londoner Sinfonien‹ zu treiben.
Höhepunkte des Programms 2024
Am 16. August 2024 gilt Andreas Sperings Einsatz der turbulenten Oper ›Lo Speziale‹. Das Libretto, das Carlo Goldoni zugeschrieben wird, serviert Liebeswirren, die Haydn sehr affin musikalisch gestaltet: Drei Männer, darunter der ›Apotheker‹, wie die deutsche Fassung der Oper getauft wurde, lieben dieselbe junge Dame und lassen kaum eine Finte aus, einander auszustechen. Haydn formt daraus eine durchkomponierte Folge von Secco-Rezitativen, Arien und Ensembles, die zuletzt in eine muntere ›Janitscharenmusik‹ mit ganzem Orchester und Triangel und Trommel mündet. Erlebenswerte Intrigen sind es und mancher Besucher lässt danach für immer die Finger von Liebesrivalitäten.
Obgleich Andreas Spering bereits siebzig Sinfonien Haydns erarbeitet hat, ist die Interpretation einer Sinfonie keine Routine für ihn. Das werden die Besucherinnen und Besucher zum Beispiel am 24. und 25. August erleben, wenn Spering die Sinfonien G-Dur Hob. I:88 und die ›Oxforder‹ in G-Dur Hob. I:92 auf den Pulten stehen hat. Diese beiden Werke umrahmen im Oeuvre eine Gruppe von insgesamt fünf Sinfonien aus den späten 1780er Jahren, mit denen Haydn seine Klasse vor der Reise nach London bewies. Beide Sinfonien fallen durch viele einprägsame Motive auf, mit denen Haydn seinen klassischen Satz zu oft überraschenden Wendungen gestaltet. Sinfonie 88 wird deshalb gerne in Essays über Haydns Witz zitiert. Andere Ensemble bringen andere Sinfonien ins Festival. Darunter sind die frühen Tageszeiten-Sinfonien 6 bis 8 durch die Kölner Akademie, geleitet von Michael Alexander Willens, die mittleren Sinfonien 43, 52 und 59 durch die Akademie für Alte Musik Berlin, geleitet von Bernhard Forck, und die späteren Londoner Sinfonien 94 und 104 durch die Camerata Augustina, geleitet von Michael Schmidt-Casdorff.
2023 erlebte das Haydn-Festival eine neue Reihe von einstündigen Mittagskonzerten. Unter dem Titel ›HayNoon‹ traten in der Galerie im Schloss studentische Kammermusikensembles an, die jeweils für eine der Musikhochschulen Nordrhein-Westfalens standen. Sie spielten Programme, in deren Mittelpunkt Haydn stand und bewarben sich um eine Wiedereinladung im Jahr 2024. Die Reihe erlebt nun 2024 ihre zweite Auflage, die diesmal den Werken für Klavier Solo gilt. Ausgesuchte Pianistinnen und Pianisten aus den Hochschulen Nordrhein-Westfalens entlocken vom 19. bis zum 23. August den Klavierwerken Haydns neue Nuancen und die jungen Künstlerinnen und Künstler erleben durch das Brühler Haydn-Festival eine Plattform mit internationalem Zuspruch, auf der sie sich zeigen können – eine Konzertreihe im Festival also, in der die Hörerinnen und Hörer innovative Neuzugänge zu den Werken erleben, dabei mit einem Fördereffekt von hohem Wirkungsgrad und damit eines Festivals dieser Klasse würdig.
Robert v. Zahn